Scheitern als Management-Technik? Ein Konzept, das die deutsche Seele vor Herausforderungen stellt

Alles was man wissen muss

Kinder lernen, indem sie Fehler machen. Sie lernen, indem sie Ausprobieren, Testen, Grenzen überschreiten. Ist die Grenzüberschreitung erfolgreich, werden neue Kompetenzen erworben und Erkenntnisse gewonnen, die sich weiter erproben und verfeinern lassen. Auch Unternehmen müssen dazu lernen. Gerade im unmittelbaren Umfeld einer Basisinnovation ist die Fähigkeit zu Lernen eine überlebenswichtige Qualität. Und das bedeutet: Auch das Management muss eine Einstellung zu “Fehlern” und zum Begriff des “Scheiterns” entwickeln. Der Unterscheid zwischen Kindern und Managern? Kinder machen Fehler, denn sie wissen es nicht besser. Manager müssten es besser wissen. Deshalb bezahlen wir sie dafür, dass sie keine Fehler machen. Klingt logisch – und ist doch von Grund auf falsch. Fehler sind eine notwendige Begleiterscheinung von Risiken. Und das Eingehen von Risiken ist eine notwendige Begleiterscheinung von Unternehmertum. Wer als Unternehmer keine Risiken eingeht, lebt gefährlich.

Dennoch wird im Unternehmenskontext das Lernen aus Fehlern schnell mit Scheitern und Misserfolg gleichgesetzt. Dieses Prinzip durchdringt das Unternehmen auf allen Ebenen: Der Aufsichtsrat kontrolliert den Vorstand im Sinne der Aktionäre und sanktioniert in dieser Funktion Fehler, im ernstesten Fall reagiert er sogar mit der Entlassung des Vorstands. In der Produktion kontrolliert der Schichtleiter die Arbeitsleistung der am Band Beschäftigten. Auch er sanktioniert Fehler mit den dafür vorgesehenen Konsequenzen. Bereits hier wird das Dilemma und die dahinterliegende Frage spürbar: Welche Fehler sind gute Fehler? Welcher Misserfolg ist guter Misserfolg? Wann muss Scheitern sanktioniert und wann belohnt werden? Es scheint, als sei die Bewertung von Verhalten eine Frage des Kontexts und der – gelegentlich strategischen – Argumentation, die einem Scheitern vorausgeht. Kontext und strategisches Argument machen den Unterschied.

In der Theorie klingt das schlüssig und nachvollziehbar. Doch wie sehr uns Deutschen das Vertrauen in das gezielte Lernen aus Fehlern fehlt, zeigt eine bevölkerungsrepräsentative Studie der Universität Hohenheim „Gute Fehler, schlechte Fehler. Obwohl – oder gerade weil – es viele Veranstaltungen und Diskussionsformate gibt, bei denen gescheiterte Gründer von ihren Erfahrungen mit dem Misserfolg erzählen – wie beispielsweise die Fuckup Nights Berlin – ist Deutschland noch weit von einer positiven Kultur des Scheiterns entfernt.

In der Studie wurden 2.000 Teilnehmer im Alter von 18 bis 67 Jahren befragt. Und immerhin lässt sich eine wachsende Zahl zu der Aussage hinreißen, dass sie Fehlschlägen positiv gegenüber stehen und gescheiterte Unternehmen eine zweite Chance verdienen. Das scheint jedoch eher ein ethischer als ein wirtschaftlicher Standpunkt zu sein. Denn auf die Frage, ob sie selbst geschäftliche Beziehungen mit gescheiterten Unternehmen eingehen würden, antworten mehr als 40 Prozent der Befragten, dass sie Vorbehalte gegenüber einem bereits gescheiterten Unternehmen hätten. Eine zweite Chance? Die sollen lieber andere einräumen. Die Studie untersucht, welche Begründungen für Fehlschläge in der deutschen Bevölkerung akzeptiert werden. Am ehesten wird Scheitern akzeptiert, wenn die Gründe dafür außerhalb des eigenen Einflusses liegen – wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, ein übermächtiger Wettbewerb oder steigende Preise bei relevanten Produktionsfaktoren. Am wenigsten Verständnis bringen die Befragten Gründern und Unternehmern entgegen, die einfach mal etwas ausprobieren. Das Eingehen willkürlicher Risiken findet in der deutschen Bevölkerung kaum Akzeptanz.

Dass ethische Bedenken bei Fehlern eine Rolle spielen, wird deutlich, wenn man genauer analysiert, was die erfragten Begründungen für Scheitern eigentlich sind: Es sind Entschuldigungen – Begründungen, die eigenes Scheitern entschuldbar machen. Risikobereitschaft, die sich von außen betrachtet nicht als Entrepreneurship sondern als Willkür oder sogar Fahrlässigkeit interpretieren lässt, ist weit entfernt von Bekenntnis und Reue. Sie rechtfertigt keine Vergebung. Keine Vergebung, keine zweite Chance. Das Thema Scheitern lässt sich nicht wirtschaftlich-objektiv betrachten. Es ist überfrachtet mit subjektiven Projektionen, die der eigenen christlich-abendländischen Sozialisierung entstammen. Und das ist ein Problem. Denn dieses Gedankengut sitzt tief. Es ist so tief in uns verwurzelt, dass es uns schwer fällt, dagegen zu argumentieren oder gar zu handeln. Unternehmertum ist als Begriff durchaus positiv besetzt. Risiko nicht. Das das eine das andere braucht, ist ein Dilemma, das sich nur über erfolgreiches Unternehmertum auflösen lässt. Wie kann ein Plädoyer für das Scheitern aussehen, für den Mut zu Scheitern – entgegen aller kulturhistorischen Überzeugungen?

Im Kontext von Innovationen, ist das Scheitern von Ideen und Unternehmungen eine Notwendigkeit: Unternehmen brauchen den Mut, neue Dinge auszuprobieren, zu experimentieren, zu testen, Iterationsstufen zu durchlaufen um letztlich zu einem Mehrwert stiftenden Ergebnis zu gelangen. Ohne Risiko und Scheitern gibt es keinen Fortschritt. Oder anders formuliert: Ohne planvolles Scheitern, wird Fortschritt zur Glücksache – und Glück hat sich bislang ebenso wenig als Management-Technik etabliert. Fehler und Rückschläge sind ein natürlicher Teil von Entwicklungsprozessen. Die anglo-amerikanische Management-Lehre ist der Meinung: Wer keine Fehler macht, hat sich zu wenig zugetraut. Agile Managementmethoden, wie die Lean-Startup-Methode, propagieren das seit Jahren und unermüdlich. Vorträge und Bücher zu diesem Thema erfreuen sich größter Nachfrage. (Lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Artikel von David J. Bland, der über seine Erfahrungen mit der Lean-Startup-Methode berichtet.) Das zeigt, dass die Bereitschaft besteht, das Thema “Scheitern” neu zu bewerten. Was aber eine notwendige Voraussetzung dafür ist, ist Transparenz und eine nachvollziehbare Vision, die von denen verstanden und geteilt wird, die auch das Risiko teilen. Wer sein Handeln strategisch begründen und sinnvoll aus sich verändernden Umgebungsvariablen ableiten kann, der führt, der unternimmt etwas und darf auch scheitern: Strategisches Argument und Kontext haben die Kraft, das Scheitern ex ante als Erfolgsfall zu codieren. Das gelingt aber nur dann, wenn die Stakeholder des Scheiterns einbezogen werden.

Zurück zum Thema “Lernen”. Es gibt kein Lernen ohne die Bereitschaft, negative Erfahrungen zu machen. Gerade in der heutigen Zeit ist das Management der Lernkurve eines Unternehmens zentrale Führungs- und Entwicklungsaufgabe. Eine steile Lernkurve bedeutet manchmal auch das Eingehen von Risiken, die nicht immer bis in die letzte Konsequenz überschaubar sind. 

Dass diese neuzeitlichen Anschauungen kulturell schwer zu verankern sind, mag unter anderem daran liegen, dass ein wesentlicher Teil des deutschen Wohlstandes auf den Unternehmensgründungen im Industriebereich in den 1950er Jahren fußt, die vom durch das Ausland induzierten wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg getragen wurden. Für Gesellschaften mit großem Wohlstand und funktionierender Wirtschaft ist Effizienz schon immer ein hohes Gut und zentraler Bestandteil der Managementpraxis. Dem aber muss man den Satz von Chantell Illbury und Clem Sunter entgegen halten: Success breeds failure. Denn das digitale Zeitalter mit seinen immer kürzeren Entwicklungszyklen und seiner hohen Entwicklungsgeschwindigkeit zwingt Unternehmen zum Umdenken.

Die Entwicklung einer positiven Kultur des Scheiterns braucht ihre Zeit – vor allem in Deutschland. Und dass sich Deutschland auf den Weg gemacht hat, zeigt die Studie ebenfalls: Die jüngeren Befragungsteilnehmer zwischen 18 und 39 Jahren bewerten unternehmerische Fehlschläge bereits weitaus positiver als die ältere Generation. Das gesellschaftliche Umdenken hat bereits begonnen. Und das ist wichtig. Denn nur so wird der Nährboden für Neugründungen und Innovationen fruchtbarer.